Uwe Habenicht: Im Transformationsprozess brauchen Menschen Orientierung

Das Interview führte Dr. Martin Horstmann

Rückblick auf den ersten Online-Kongress „Glaube Liebe Wandel“  2022, eine Kooperation der Melanchthon Akademie mit der Evangelischen Akademie im Rheinland. Mehrere hundert Teilnehmer sahen die zehn Video-Interviews und diskutierten die Frage, was die Aufgabe des Christentums in der sozial-ökologischen Transformation ist. Uwe Habenicht war einer der Referenten. Er ist evangelischer Pfarrer und Autor. Er hat als Pfarrer in Deutschland und Italien gearbeitet, seit 2017 ist er reformierter Pfarrer in St. Gallen (Schweiz). 

Pfarrer Uwe Habenicht

Gibt es etwas, dass Sie selbst aus dem Online-Kongress „Glaube Liebe Wandel“ mitgenommen haben?
Als ich gefragt wurde, ob ich am geplanten Oneline-Kongress aktiv teilnehmen möchte, habe ich mit meiner Zusage nicht lange gezögert, weil ich das Thema für wirklich dringlich halte. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass die unterschiedlichen Interviews mich so sehr beschäftigen würden. Beim Zuhören ist mir klar geworden, dass sich Transformationsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig abspielen. Neben wissenschaftlichen Grundlagen, die auf einer eher kognitiven Ebene anzusiedeln sind, spielen handlungsleitende konkrete Projekte eine ebenso wichtige Rolle wie die Erschließung spiritueller Ressourcen, aus denen neue Grundhaltungen und eine neue Politik entstehen können. Kurz gesagt: Ich habe meine eigene Aufgabe als Theologe im Gegenüber zu den anderen Akteuren in diesem Transformationsprozess sehr viel besser verstanden. 

Hat die Kirche eine besondere Rolle oder Aufgabe in diesem dringlichen öko-sozialen Wandel?
Auf jeden Fall, denn als Kirche sind wir ein gesellschaftlich relevanter und zudem ein lokaler, regionaler und „globaler player“. Es geht ja nicht nur um eine öko-soziale Transformation, sondern – wie ich bereits andeutete – auch um einen spirituellen Wandel. Ich habe mit meinem Entwurf einer minimalistischen Spiritualität, die sich bewusst vom immer mehr und immer schneller abwendet, versucht, auch auf spiritueller Ebene einen neuen Lebensstil zu skizzieren, der Glauben und Handeln gleichermaßen umfasst.

Auf der praktischen Ebene können wir mit unserer breiten Partizipationskultur konkrete Projekte anregen und umsetzen: Biodiverse Gärten, Klein-Wälder in Stadtgebieten, alternative Bewirtschaftung von kirchlichen Gebäuden, globale Unterstützungs- und Lernpartnerschaften und vieles mehr. Damit es nicht zum Gefühl der Überforderung kommt, können Kirchengemeinden sich an den 17 Zielen, die von der UNO definiert wurden, orientieren und auswählen, womit sie beginnen möchten. So bleiben die konkreten Projekte überschaubar und gewinnen an Prägnanz und Ausstrahlungskraft. 

Kurz nach dem Online-Kongress erschien von Ihnen ein Artikel in der evangelischen Zeitschrift „zeitzeichen“, in dem Sie fordern, dass sich die evangelische Theologie grundlegend neu ausrichten müsste. Worum geht‘s?
Wir müssen die Theologie vom Kopf auf die Füße stellen. Nicht nur unsere klassische Schöpfungstheologie hat den Menschen zu einem isolierten Denkapparat gemacht. Dabei sind wir als Organismen doch durch unseren Leib auf vielfältige Weise mit unserer Mitwelt verbunden und wurzeln in ihr. Für dieses erdhafte Eingewurzeltsein ist uns theologischerseits das Sensorium und die Sprache verloren gegangen. Beides gilt es wiederzugewinnen, damit die Natur nicht nur etwas ist, das uns gegenüber ist, sondern die wir immer auch selbst sind. Draußen abtauchen bedeutet nicht nur Teil der Natur zu sein, sondern in dieser Verbundenheit auch das Göttliche zu entdecken.

Was ist Ihnen persönlich in diesen Krisen-Zeiten besonders wichtig?
Wir brauchen neue und ansprechende Symbole und Rituale, die anschaulich machen, was «Metanoia» (Umkehr) heute bedeutet. Menschen brauchen Orientierung, um ihr Denken und Handeln neu ausrichten zu können.

Meine Frage diesbezüglich lautet: Wie gelingt es uns, in unseren Gottesdiensten etwas von diesem Neuen sinnlich erlebbar werden zu lassen? In unserer St. Galler Waldkirche arbeiten und experimentieren wir in dieser Richtung. 

Glaube, Liebe, Wandel: Haben Sie einen Liebling unter diesen dreien?
Unbedingt den Wandel, denn Wandel und Wandeln liegen wunderbar dicht beieinander. Wenn wir über Transformationsprozesse nachdenken, die für eine lebenswerte Zukunft nötig sein werden, dann geht es eben vor allem darum, dass wir unseren Lebenswandel umstellen, dass wir Gewohntes und Liebgewonnenes loslassen und anders wandeln als bisher. Ohne diesen Wandel des Wandelns wird es weder Glaube noch Liebe geben.

 

 

  • 13.3.2023
  • Red
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