QR-Code macht jüdisches Leben sichtbar

Das Foto aus dem Jahr 1930 zeigt den Lehrer Salomon Seelig und seine Schulklasse. Seit 1974 ist das Gebäude, in dem einst die jüdische Schule Siegburg untergebracht war, aus dem Stadtbild verschwunden. Aber eine Acrylglas-Tafel wird in Kürze nahe dem früheren Schulstandort an dieses Beispiel jüdischen Alltagslebens erinnern. Denn darum geht es dem gesamten Projekt „Spuren. Jüdische Erinnerungsorte an Sieg und Rhein“: „Wir haben den Anspruch, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen“, sagt Thomas Wagner, Kultur- und Archivdezernent des Rhein-Sieg-Kreises. Auf der Tafel schlägt ein QR-Code die Brücke zu weiteren Hintergrundinformationen, die im Internet hinterlegt sind. Ins Leben gerufen wurde das Projekt vom Förderverein Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“ und dem Evangelischen Kirchenkreis An Sieg und Rhein.

Im Sommer 2020, erzählt Sebastian Schmidt, Synodalbeauftragter des Kirchenkreises für den christlich-jüdischen Dialog, habe sich das neunköpfige Projektteam erstmals getroffen, um zu überlegen, welchen Beitrag man zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ leisten wolle. Aus der Erwachsenenbildung kam schließlich der Impuls, ein niederschwelliges Angebot zu schaffen, um die „Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens in Erinnerung zu rufen“, wie die Fördervereinsvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker anlässlich der Projekt-Präsentation im Stadtmuseum Siegburg erklärt. Das Projekt kann schrittweise erweitert werden. Zum Auftakt sind sechs Siegburger Erinnerungsorte aufgearbeitet: neben der jüdischen Schule noch die Mikwe, die Synagoge, der jüdische Friedhof sowie das Leben der Familie Rochmann und des Siegburgers Isaac Bürger, der 1846 als erster Jude in den Siegburger Stadtrat gewählt wurde.

Das Projektteam „Spuren. Jüdische Erinnerungsorte an Sieg und Rhein“ bei der Präsentation im Siegburger Stadtmuseum.

Erinnerungstexte werden auch als Audio angeboten

Auf der Internetseite des Projekts sind nicht nur die Hintergrundinformationen zu den Erinnerungsorten zu finden, sondern auch eine Übersichtskarte und ein Glossar.  Verlinkungen innerhalb der Texte erläutern Fachbegriffe wie beispielsweise Assimilation, verweisen aber auch auf weiterführende interne wie externe Seiten. Ein Team um Pfarrer Schmidt hat die Beschreibungen zu den Erinnerungsorten inzwischen auch eingelesen, sodass zusätzlich Audiospuren angeboten werden.

Projekt für den rechtsrheinischen Teil des Rhein-Sieg-Kreises

Das gesamte Projekt ist auf Erweiterung angelegt. Für die Startphase hat man sich zunächst auf Siegburg beschränkt, auch weil die historischen Fakten hier seit Langem gut aufgearbeitet vorliegen und in enger Abstimmung mit dem Kreisarchiv genutzt werden konnten. Aber im Blick sei der gesamte rechtsrheinische Teil des Rhein-Sieg-Kreises, „weil er fast deckungsgleich mit dem Kirchenkreis An Sieg und Rhein ist“, sagt Kreisarchivarin Dr. Claudia Arndt.

Fördermittel vom Bundesinnenministerium

Um das Digitalprojekt an den Start zu bekommen, hat der Förderverein der Gedenkstätte vom Bundesinnenministerium 8800 Euro an Fördermitteln erhalten, weitere 1000 Euro wurden aus Eigenmitteln beigesteuert. In der künftigen Erweiterung, Bearbeitung und Betreuung sieht nicht nur Sebastian Schmidt viel Spielraum für ehrenamtliches Engagement. Dabei gehe es nicht in erster Linie um eine vollständige Abbildung denkbarer Erinnerungsorte in der Breite, sondern man wolle „in die Tiefe“ gehen. So sind beispielsweise Rechercheprojekte mit Konfirmandengruppen denkbar.

Ergänzung zur etablierten Kunstaktion „Stolpersteine“

Für Kreisarchivarin Arndt bietet die digitale Spurensuche, die niederschwellig per Smartphone oder Tablet betrieben werden kann, auch eine gute Ergänzung zu der bald 20 Jahre alten Kunstaktion „Stolpersteine“ von Gunter Demnig. Diese erinnert europaweit am letzten selbst gewählten Wohnort mit Namen und Lebensdaten an die Opfer der NS-Zeit. Das Projekt der Erinnerungsorte kann zu diesen Menschen weitere Hintergrundinformationen liefern. Aber es will nicht allein die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden wachhalten, sondern auch die Reichhaltigkeit jüdischen Kulturlebens und jüdischer Produktivität ins Bewusstsein rücken. Denn „wer etwas versteht, der hat auch Verständnis“, sagt Kulturdezernent Wagner.

  • 18.8.2021
  • Ekkehard Rüger
  • Ekkehard Rüger