„Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker, in den Morgen dringt…“ Der Beginn dieses beliebten Passionsliedes mit einem Text aus dem 20. Jahrhundert nimmt eine biblische Metapher auf. Schon im ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth und im Evangelium nach Johannes wird das Bild des sterbenden und fruchtbringenden Weizenkorns genutzt, um den frühen Christ:innen das scheinbar unbegreifliche Geschehen der Auferstehung zu veranschaulichen. Während im Kontext von Joh 12,24 Jesus über den Menschensohn spricht, vermittelt Paulus den Korinther:innen in 1Kor 15,36-38 ein Bild für die Auferstehungshoffnung der Christusgläubigen. Dass dabei ein Bezug zur Landwirtschaft hergestellt wird, verwundert nicht, wenn man bedenkt, wie vertraut diese Vorgänge den Menschen in biblischer Zeit aus ihrem Alltag waren. So begegnen Bilder vom Pflanzenwachstum aus einem Samenkorn auch an anderer Stelle im Neuen Testament, wenn zum Beispiel Aussagen über das Reich Gottes getroffen werden (z.B. Mk 4,26-29).
Die Suche nach Bildern, Metaphern und Vergleichen für das, was in der Auferstehung geschieht, bewegt Christ:innen somit bereits seit dem Osterereignis. Und auch heute fragen wir immer wieder: Wie können wir davon reden, dass aus dem Tod neues, unvergängliches Leben entsteht und sich in dem Sterben eines Einzelnen Hoffnung für Viele gründet? Gibt es neben der biblischen Metapher vom Weizenkorn noch weitere Bilder, die uns über eine gewisse Ähnlichkeit zumindest eine Annäherung an dieses außergewöhnliche Handeln Gottes erlauben?
Für wen heute angesichts der gegenüber biblischen Zeiten veränderten Lebensumstände die biblische Metapher vom Weizenkorn zu fremd erscheint, für den oder die könnte ein weiterer Bildgeber aus der Natur eventuell näher sein: das sogenannte Totholz in unseren heimischen Wäldern. Bei einer Lektüre in der Zeitschrift GEOkompakt über Wälder, in deren natürliche Abläufe der Mensch wenig oder gar nicht eingreift, stieß ich auf diese lebensspendende Ressource als Annäherung an die Auferstehung. Dass das abgestorbene, im Wald verbleibende Holz uns vormacht, was die christliche Theologie seit über zweitausend Jahren versucht in Worte zu fassen, wurde mir durch einen Beitrag zum deutschen Urwald von Gesa Gottschalk deutlich. Die Autorin schreibt darin: „Holz wieder zu Erde werden zu lassen erscheint auch als wirtschaftlicher Wahnsinn. Dabei macht nichts einen Wald so sehr aus wie das Sterben.“ (GEOkompakt 72, 2022, 69.) Den unberührten Wald bezeichnete sie abschließend als einen Ort „[w]o aus Sterben Leben wird.“ (ebd., 72.) Denn während der langsam ablaufenden Zersetzungsprozesse verhilft das tote Holz Samen zum Keimen und neuen Pflanzen zum Wachsen und wird so neu zur Lebensgrundlage. Darüber hinaus bietet es einen wertvollen Lebensraum für eine unglaubliche Artenvielfalt, angefangen bei Pilzen, Moosen und Flechten über Insekten, Vögel und Reptilien bis hin zu kleinen Säugetieren, und ist damit unerlässlich für ein intaktes Ökosystem (https://traunstein.bund-naturschutz.de/artenschutz/totholz).
Mit etwas Glück lassen sich die sprießenden, jungen Triebe auf abgestorbenen Baumstämmen auch beim nächsten Frühlings- oder Osterspaziergang beobachten und erinnern Sie vielleicht an das, was den frühen Christ:innen mit der Metapher des Weizenkorns vermittelt wurde. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine frohe Feier der Auferstehung und erholsame Stunden in der Natur mit vielen grünenden Entdeckungen!