Fixpunkt: Raus aus der Funkstille

Seit weit über einem Jahr habe ich sie nicht gesehen. Früher war sie meine beste Freundin. Viele Jahre haben wir den Kontakt zueinander gut gepflegt. Auch wenn wir an anderen Orten gelebt haben, haben wir immer viel telefoniert und uns gegenseitig besucht. In den letzten Jahren fiel es uns immer schwerer den Kontakt zu halten. Sie ist mittlerweile beruflich viel im Ausland. Und wenn sie hier ist, ist sie oft bei ihrem neuen Freund in München – der jetzt natürlich auch nicht mehr neu ist. Dann kam noch die Corona-Pandemie und jetzt herrscht irgendwie Funkstille. Das kommt in den besten Beziehungen vor. Vielleicht kennen Sie das: Ein falsches Wort, ein nicht gehaltenes Versprechen. Und der andere ist verletzt oder ich bin verletzt. Manchmal wissen wir auch gar nicht genau, ob, und wenn ja, was wir falsch gemacht haben. Vielleicht habe ich ihr was Falsches gesagt, sie mit einem unbedachten Satz verletzt. Aber vielleicht hat auch sie mich verletzt, als sie mir noch nicht mal mehr zum Geburtstag gratuliert hat? Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, wie die Funkstille anfing. In der Bibel lese ich an diesem Wochenende: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist […] Vergebt, so wird euch vergeben. (Lk 6,36f.) Ich nehme mir vor, sie heute anzurufen. Das erste Mal nach so langer Zeit. Und wenn sie nicht dran geht, dann schicke ich ihr eine Sprachnachricht. Vielleicht wartet sie ja genau auf diesen Schritt. Denn dieser braucht ja Mut. Gott gibt ihn mir. Und ich bin sicher, er gibt ihn Ihnen auch.

Pfarrerin Julia Arfmann-Knübel
Text für den Fixpunkt der rz am 1.7.23

  • 7.7.2023
  • Beatrix Meyer
  • Red